Michael Helm

Konferenzraumbesetzung

vom 18. Januar 2017

Eine sachliche, vernünftige Diskussion scheint aus der Mode gekommen. Dass der zukünftige amerikanische Präsident sie nicht beherrscht: geschenkt. Man soll keine zu hohen Anforderungen stellen. Aber im Alltag war ich bislang Besseres gewohnt. Im Streitfall um einen – von beiden Seiten eingetragenen – Konferenzraum hörte ich heute wieder und wieder das selbe Argument: Man habe ihn aber doch eingetragen. Beim ersten Mal: Argument entgegengenommen. Denke nach. Meine Denkpause wird genutzt, um das Argument mit exakt derselben Wortwahl und selbigem Tonfall zu untermauern. Argument verstanden, ja doch! Ich hasse Leute, die alles zwei Mal sagen.

Erwidere etwas, um der höflichen Person sachlich zuvorzukommen, aber die unterbricht mich mit: Wir haben ihn aber doch eingetragen! Oh, Varianz in der Wortfolge, aber Langeweile in der Hirnregion, die sie vernimmt. »Verstehe, jaadoch!« Mache mich daran, eine Lösung vorzuschlagen und beginne sie schon in die Tat umzu… und bekomme eine Antwort, sofort: …! Ich höre und drücke innerlich Repeat: Kann doch nicht sein, dass da wieder betont wird, man habe den Raum aber eingetragen. »Ich weiß ja, ja…!« Das kommt aus meinem Mund. Ich bin einfach perplex! »Hören Sie, ich…« Was nun folgt, brauche ich hier nicht zu erwähnen. … »Jaaaaadooch … Das sagten Sie bereits, ich habe Ihren Satz verstanden. Do you understand me?«  Ein Nicken. »Really????« Wieder ein Nicken. Ich zweifle. Zu Recht. Und ahne, was kommt. Bevor ich die Worte vom eingetragenen Raum noch einmal hören werde, nehme ich die Beine in die Hand und suche nach einer schnellen Alternative. Keine zwei Türen weiter steht offensichtlich ein heller, schöner Tagungsraum leer und sperrangelweit offen, wie mein Mund. Ist es denkbar, dass stetes Wiederkäuen des Ewiggleichen die Sachlage wirklich verändert? Auf alle Fälle etwas in meinem Gehirn. Es fühlt sich so weich an.

Ich nehme mir fest vor, in dieser Nacht in die öffentliche Anstalt einzudringen und den Belegungsplan an jedem einzelnen verdammten Tag dieses Jahres mit meiner persönlichen Besetzung zu füllen: jeden einzelnen Tag, mindestens 365 Tage. Konferenzraumbesetzung.

Was sachliche Diskussionen angeht, kann man dieser Tage zum autonomen Tagungsraumbesetzer werden. Ich träume mich nachts bereits bewaffnet, vermummt und ausgerüstet mit schalldichten Ohrstöpseln. So weit kann es mit einem kommen, dieser Tage. Und nicht nur vor Konferenzräumen.

mh

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